TENA:
Herzlich willkommen zu unserem Experteninterview zum Thema „Was tun bei Blasenschwäche?“ hier auf tena.de. Begrüssen darf ich Prof. Dr. med. Ursula Peschers, Direktorin des Beckenbodenzentrums der Klinik für Gynäkologie am Isar Klinikum in München. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns und unseren Lesern ein paar wichtige Fragen zu beantworten.
Prof. Dr. med. Peschers:
Gerne.
TENA:
Blasenschwäche ist ja nicht unbedingt ein Thema, das man beim Kaffee mit Freunden bespricht. Viele fühlen sich daher ausgegrenzt und alleingelassen mit der Thematik. Aber stimmt es, dass Inkontinenz wirklich so selten ist?
Prof. Dr. med. Peschers:
Inkontinenz ist überhaupt nicht selten! Wir gehen davon aus, dass mindestens 30 Prozent der Frauen nach den Wechseljahren von einer Inkontinenz betroffen sind, die sie auch im Alltag stört. Bei mindestens zehn Prozent aller Frauen ist die Blasenschwäche so stark, dass sie ihr Leben stark beeinträchtigt. Ausserdem kann Inkontinenz auch junge Frauen betreffen. Es gibt durchaus Frauen, die mit Ende 20 schon von einer Inkontinenz betroffen sind, z. B. nach einer Geburt.
TENA:
Wenn man sich hinsichtlich der Symptome unsicher ist – ab wann empfehlen Sie, einen Arzt aufzusuchen?
Prof. Dr. med. Peschers:
Ganz eindeutig dann, wenn die Patientin durch die Blasenschwäche so beeinträchtigt ist, dass es sie in ihrem Alltagsleben stört. Wer beim festen Niesen oder während einer Heuschnupfenepisode mal einen Tropfen Urin verloren hat, muss sicherlich nicht zum Arzt gehen. Aber wer einmal oder mehrmals pro Woche auch kleinere Mengen Urin verliert und daraufhin sagt: „Ich gehe jetzt nicht mehr zum Sport“ oder „Ich traue mich nicht mehr, den Kindern auf dem Spielplatz hinterherzurennen“, sollte auf jeden Fall einen Arzt aufsuchen.
TENA:
Welche Untersuchungen oder Informationen sind nötig, um bei einer Blasenschwäche die richtige Diagnose zu stellen?
Prof. Dr. med. Peschers:
Zuerst führt der Arzt ein ausführliches Gespräch mit der Patientin, um zu erfahren, wann die Inkontinenz auftritt. Ausserdem wichtig: Wurde die Patientin schon mal operiert? Hat die Patientin Kinder geboren? Bei dieser Basisuntersuchung wird auch geschaut, ob eine Harnwegsinfektion vorliegt. Wir lassen die Patientin in der Regel ausserdem ein „Blasentagebuch“ führen: Sie soll drei Tage lang aufschreiben, was und wie viel sie trinkt, und jedes Mal, wenn sie zur Toilette geht, in einem Messbecher auffangen, wie viel Wasser sie lässt. Anhand dieser Informationen können wir in der Regel mit einem konservativen Behandlungsversuch starten. Eine Operation ist noch kein Thema, wir fangen aber schon mal mit Gymnastik oder Medikamenten an.
TENA:
Viele sehen immer noch einen Zusammenhang zwischen den Wechseljahren und Blasenschwäche. Aber gibt es diesen Zusammenhang wirklich?
Prof. Dr. med. Peschers:
Ja, den gibt es eindeutig! Bei vielen Frauen werden die Beschwerden nach den Wechseljahren deutlich schlimmer. Das hat zwei Ursachen: Zum einen ändert sich nach den Wechseljahren die hormonelle Lage – und das ist schlecht für die Kontinenz, also die Fähigkeit, das Wasser zu halten. Zum anderen liegt es natürlich am Alter. Je älter man wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass man inkontinent wird.
TENA:
Könnte es die Inkontinenz abschwächen, wenn ich weniger trinke?
Prof. Dr. med. Peschers:
Prinzipiell eine schlechte Idee! Wenn man weniger trinkt, wird der Urin wesentlich konzentrierter und wirkt umso aggressiver auf die Blase. Drangbeschwerden werden dann tendenziell eher schlimmer als besser. Natürlich bedeutet das nicht, dass man extrem viel trinken sollte. Aber Patientinnen mit einer Blasenschwäche sollten durchaus 1,5 bis 2 Liter am Tag trinken. Zum Beispiel Tees, die nicht harntreibend sind, oder stilles Wasser.
TENA:
Wenn ich z. B. morgens gerne Kaffee trinke und abends ein Glas Sekt – muss ich darauf verzichten?
Prof. Dr. med. Peschers:
Das kommt drauf an. Wenn Sie eine Belastungsinkontinenz haben, können Sie trinken, was Sie wollen. Wenn Sie eine Dranginkontinenz haben, also eine überaktive Blase, und es nicht bis zur Toilette schaffen, sollten Sie harntreibende Stoffe – und dazu gehören eben Koffein und Alkohol – möglichst meiden. Oder Sie planen so, dass eine halbe Stunde nach dem Kaffeetrinken eine Toilette in Reichweite ist. Sie müssen also nicht zwangsläufig verzichten, sollten aber natürlich nicht ausschliesslich schwarzen Tee und Kaffee trinken.
TENA:
Sie hatten ganz kurz angesprochen, dass sich pflanzliche Tees positiv auswirken können. Gibt es noch andere pflanzliche Mittel, die sich positiv auf Inkontinenz-Beschwerden auswirken?
Prof. Dr. med. Peschers:
Bei immer wiederkehrenden Harnwegsinfektionen empfehlen wir pflanzliche Arzneimittel oder Blasentees. Aber auch kanadische Preiselbeeren (Cranberrys) sind hilfreich. Kürbiskernmedikamente hingegen, die bei Männern häufig gegeben werden, helfen Frauen in der Regel nicht gut.
TENA:
Welche Tipps können Sie für den Alltag geben? Auf tena.de haben wir schon über die Stärkung der Beckenbodenmuskulatur geschrieben. Wie kann ich sie stärken?
Prof. Dr. med. Peschers:
Zuerst einmal muss ich wissen, ob ich meine Beckenbodenmuskulatur überhaupt richtig anspannen kann – der Muskel ist schliesslich nicht sichtbar. Das Beckenbodentraining lässt sich ganz wunderbar in den Alltag integrieren, indem man sich zum Beispiel vornimmt: „Immer wenn ich an einer roten Ampel stehe, dann spanne ich zehn Mal den Beckenboden an!“ Aber wichtig: vorher lernen, wie das richtig geht!
TENA:
Ab wann ist das Ausmass der Blasenschwäche so hoch, dass ich operiert werden muss?
Prof. Dr. med. Peschers:
Das ist natürlich eine sehr individuelle Entscheidung. Wir empfehlen immer, die konservativen Massnahmen auszureizen. Wenn auch dann noch die Blasenschwäche im Alltag stört, dann empfehlen wir eine Operation. Dabei handelt es sich in der Regel um sehr kleine und relativ komplikationsarme Eingriffe.
TENA:
Ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns Frage und Antwort zu stehen bei unserem Interview hier auf tena.de!
Prof. Dr. med. Peschers:
Gerne!